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Die Berge immer im Blick

✧ 24. Juni 2019 ✧

Profi-Alpinist Roger Schäli ist seit seiner frühsten Kindheit auf dem Brienzer Rothorn anzutreffen. Schon damals hat ihn der Eiger, hier mit schwarzer Nordwand im Hintergrund, fasziniert. Foto: Monika Burri

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Das Brienzer Rothorn thront über Sörenberg und lockt ambitionierte Wanderer, Ausflügler, aber auch Einheimische wie Roger Schäli mit fantastischen Aussichten.

Würde ein Preis für die schönste Aussicht verliehen, würde ich das Brienzer Rothorn auf jeden Fall nominieren. Doch nicht nur das Panorama ist einmalig, auch meine heutige Begleitung auf der Tour ist eine Persönlichkeit mit speziellen Talenten: Die Rede ist von Profi-Alpinist Roger Schäli. Obwohl sein Hausberg klettertechnisch für ihn keine Herausforderung ist, gehört es doch zu seinen Lieblingswanderzielen. Schäli ist nämlich in Sörenberg, einem der Ausgangsorte für den Aufstieg zum Rothorn, aufgewachsen und mit seiner Heimat immer noch eng verbunden.
Ich treffe den Bergsteiger bei der Gondelbahn Rossweid in Sörenberg. Die Bahn wird uns näher an unser Ziel, den Grat des Brienzer Rothorns, bringen. Während der Fahrt erzählt Schäli von seiner Kindheit. «Wir waren ständig draussen und sind überall hochgeklettert oder im Winter mit den Ski die verrücktesten Hänge runtergefahren.» Zu jeder Vertiefung, jedem Hang und jeder Schlucht hat er eine bestimmte Erinnerung. «Obwohl ich schon länger in der Nähe von Interlaken wohne, ist und bleibt Sörenberg für mich meine Heimat», sagt der 40-Jährige. Wir erreichen die Rossweid. Auf 1463 Metern über Meer geht die Wanderung zu Fuss weiter. Immer im Blick: der imposante Grat der Brienzer Rothorn Kette, den wir ablaufen möchten.

Als Bergführer ist es Schäli gewohnt, Leute durch die Natur zu führen. So erfolgen auch für mich erste Instruktionen. Diese Wanderung sei nicht sehr schwierig, aber trittsicher müsse man schon sein. «Das bist du doch hoffentlich?», schaut er mich fragend an. Zugleich begutachtet er meine Schuhe. Zum Glück ist Wandern in unwegsamem Gelände für mich kein Problem, und mit dem richtigen Schuhwerk bin ich ebenfalls ausgerüstet. Ungefähr eine Stunde führt uns der Weg sanft ansteigend in Richtung Felswand. Das Schöne an dieser Wanderung sei die Abwechslung.

‹Diese intakte Moorlandschaft geht direkt in felsige, raue Hänge über. Das ist sehr typisch für diese Gegend.›

Langsam wird es steiler. Knapp 900 Meter schlängelt sich der gut ausgebaute Wanderweg nun hoch bis zum Lättgässli, einem Höhepunkt dieser Tour. Während der Sörenberger wie ein junges Reh den Pfad hinauftänzelt, konzentriere ich mich auf meine Schritte und hänge meinen Gedanken nach. Ob heute wohl die Steinböcke auf dem Lättgässli grasen werden?, frage ich in die Stille hinein. «Die Chancen, Wild zu sehen, stehen hier sehr gut, darum heisst diese Wanderroute auch Steinbock-Trek», lautet die Antwort des Kenners. Wenn das keine Motivation ist, die letzten Meter in Angriff zu nehmen!

Keine Angst vor Menschen: Die Steinböcke und –geissen geniessen das saftige Gras. Foto: Maurin Bisig

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Endlich auf dem Grat angekommen, staune ich nicht schlecht: Zum einen stehen da tatsächlich zwei Steingeissen mit ihren Jungen sowie ein imposanter Steinbock auf einem schmalen, mit Gras bewachsenen Band. Zum anderen liegt vor uns das ganze Berner Alpenpanorama mit Brienzer- und Thunersee. Fasziniert beobachten wir die arglosen Tiere beim Grasen. «Die sind an Menschen gewöhnt», weiss Schäli.

Die Wanderung auf dem Grat erfordert Trittsicherheit, ist aber ein Erlebnis der Extraklasse. Foto: Maurin Bisig

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Für die letzten Kilometer ist nun definitiv Trittsicherheit gefragt. Fokussiert gehe ich hinter dem Alpinisten her. Immer wieder bleibt er stehen und erzählt von seiner Leidenschaft: dem Eiger. Von hier sieht man die schwarze Nordwand besonders gut. Schon unzählige Routen ist Schäli hier geklettert, hat immer wieder neue Herausforderungen gesucht. Kürzlich ist sogar ein Extramagazin «Passion Eiger» über ihn herausgekommen. «Ich möchte eine 900 Meter lange Route als Erster sturzfrei, in der Fachsprach <Rotpunkt>, durchklettern, und zwar an einem Tag.» Dass dieses Vorhaben seine ganze Energie braucht, ist auch dem Laien klar. Alles muss stimmen: das Wetter, seine Tagesverfassung und die des Kletterpartners. Denn eines darf nicht passieren: Trotz Seil darf der Profikletterer nicht fallen. «Die Fallhöhe an dieser Wand ist speziell. Somit ist die Fallhöhe auch in den nicht sehr steilen und weniger schwierigen Seillängen einfach zu hoch», meint er trocken. 

Fasziniert von Roger Schälis unglaublichen Geschichten, die von seiner Liebe zum Klettern und der Demut, der Ehrfurcht und der Freiheit in diesem extremen Beruf erzählen, erreichen wir das Brienzer Rothorn. Der Wind hat zugenommen, darum gönnen wir uns eine Pause bei André Emmenegger im Gipfel-Restaurant Rothorn. André kennt den Bergsteiger schon seit Jahren und freut sich über seinen Besuch. Der Gastwirt empfiehlt uns sein Rustico-Plättli mit regionalen Spezialitäten. Klar, dass wir uns diese Köstlichkeiten nicht entgehen lassen. Vom Restaurant aus sehen wir in Richtung Sörenberg mit seiner eigentümlichen Landschaft. Schäli zeigt auf die weisse, narbige Bergkette hinter seinem Heimatdorf. «Das ist die sagenhafte Schrattenfluh», schwärmt er. Hier habe er als Kind mit Klettern begonnen. Das 6 Kilometer breite und 2 Kilometer hohe Karstgebirge ist schweizweit ein beliebtes Wander- und Klettergebiet und lockt mit Höhlenwanderungen.

Die Aussicht ist grandios, darum sollte man seine Pause im Gipfelrestaurant Rothorn machen. Foto: Maurin Bisig

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Da wir nur einen Tag Zeit haben, endet unsere Tour bei der Bergstation der Sörenberger Bergstation der Luftseilbahn Brienzer Rothorn. Den Steinbock-Trek könnte man von hier aus noch verlängern. «Die Zweitagestour rundet das ganze Erlebnis noch ab», findet Roger Schäli. Im zweiten Teil muss eine längere Distanz gelaufen werden, dafür hat es fast keine Steigung mehr. Doch ich bin mit der ersten Etappe sehr glücklich, habe ich doch sportlich etwas geleistet, eine grandiose Aussicht in alle Himmelsrichtungen genossen und Wildtiere gesehen. Ich besteige mit meinem Bergführer die Luftseilbahn in Richtung Sörenberg. Bevor Schäli wieder in seine Wahlheimat bei Interlaken zurückkehrt, besucht er noch schnell seine Familie und den Göttibuben. Beim Auto gibt er mir noch schnell einen Tipp: Ich müsse unbedingt den Käseautomaten auf dem Glaubenbielenpass ausprobieren. Das werde ich natürlich tun, denn frischen Alpkäse aus dem Selecta-Kasten gibt es nicht alle Tage!

Ausflugstipps von Roger Schäli

Kneippen in Flühli – Erholung durch Wechselbäder

Wanderschuhe ausziehen, die Hosen hochkrempeln und ins 6 Grad kalte Wasser stehen: Das darf man hier in Flühli, am Fusse der Schwändelifluh. Inmitten eines bunten Wiesenblumenteppichs ruht ein kleiner, von zwei Quellen gespeister Weiher. Seit 2003 ist dieser einstige Speicherteich eine Gesundheitsanlage nach Sebastian Kneipp – mit Wassertretanlage, Barfusspfad, Kräutergarten, Gussstation, Armbad und Ruhestation. Weit über hundert Jahre alt ist die Lehre von Sebastian Kneipp und dennoch ganz und gar nicht altmodisch. Diese besonders schön umgesetzte Anlage ist täglich von 6 bis 22 Uhr geöffnet.

www.kneipperlebnis.ch

Alp Schlacht mit Käserei – Ein echter Alpkäse aus der Biosphäre

Wer gerne richtig würzigen Alpkäse geniesst, muss sich bei Reto Vogel auf der Alp Schlacht mit einem Vorrat eindecken. Die Alp befindet sich nordseitig am Fusse des Brienzer Rothorns auf 1334 Metern über Meer. Kein Wunder, entsteht inmitten dieser intakten Berglandschaft im Biosphärenreservat Entlebuch ein besonders guter Käse. Während des Alpsommers wird die frische Bergmilch zu verschiedenen Spezialitäten verarbeitet. Der eigentliche Kassenschlager ist der Schlacht Alpkäse, der auch über die Region hinaus bekannt ist. Der Älpler und sein Team freuen sich auf jeden Besucher.

www.alp-schlacht.ch

Klettern auf der Schrattenfluh – Für Könner oder Familien

An milden Herbsttagen ist es ein Genuss, im Gebiet Hefti auf der Schrattenfluh zu klettern. Die Hefti-Zähne sind auch für Könner eine Herausforderung, denn die Schwierigkeitsgrade sind doch eher hoch. Beim sogenannten Schiff ist jedoch das Gebiet für Familien ideal. Wer gerne einmal draussen mit Kind und Kegel klettern möchte, kann diese mit Unterstützung ausprobieren. Roger Schäli steht zeitweilig auch als Führer zur Verfügung. Oder man kontaktiert für die ersten wichtigen Schritte eine Kletterschule vor Ort. Aber Achtung: Klettern bedeutet, aus seiner Komfortzone rauszukommen.

www.traumberge.ch
www.rogerschaeli.ch

Text: Monika Burri